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Archiv-Artikel

„Quotierung ist kontraproduktiv“

Gespräch mit Volker Finke, Trainer des Bundesligisten SC Freiburg, der sich entschieden dagegen ausspricht, die Problemeder Fußball-Nationalmannschaft durch Restriktionen gegen ausländische Spieler und die Einführung von Quoten zu lösen

Interview CHRISTOPH KIESLICHund CHRISTOPH RUF

taz: Herr Finke, in 40 Jahren Bundesliga-Geschichte ist der Anteil der ausländischen Spieler von 1,7 im Jahre 1963 auf heute 53,1 Prozent geklettert. Hat das tatsächlich negative Auswirkungen auf unseren Fußball, wie uns in jüngster Zeit weisgemacht wird?

Volker Finke: Es ist doch das Normalste auf der Welt, dass sich im Profisport die talentiertesten Spieler zusammenfinden – unabhängig von ihrem Pass. Die besten Basketballer der Welt sind in der NBA, ob sie nun aus Litauen, vom Balkan oder aus den USA stammen. Und im europäischen Fußball gibt es eben fünf Ligen – Italien, Spanien, England, Frankreich und Deutschland – die den Fußball am weitesten professionalisiert haben. Also spielen dort auch die besten Spieler, und es ist nicht sinnvoll, das verhindern zu wollen.

Weshalb verbreiten die Verantwortlichen für die Nationalmannschaft dann eine Alarmstimmung?

Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen der Leistungsstärke der Nationalmannschaft und dem Ausländeranteil in der Liga. Und die Zuschauer haben damit offenbar auch kein Problem: Die Stadien werden immer voller, und das, obwohl teilweise höchstens zwei deutsche Spieler in den Startformationen stehen.

In Umfragen ist eine Mehrheit für eine Quotierung des Ausländeranteils.

Solche Umfragen hätten ein anderes Ergebnis, wenn man eine fachspezifische Diskussion vorwegstellen würde. So aber sehen die Leute nur: Es gab noch nie so viele Ausländer in der Bundesliga, und wir haben eine Nationalmannschaft, die nicht mehr souverän gegen die so genannten Kleinen gewinnt. Da wird dann ein bauchgesteuerter Zusammenhang hergestellt.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung könnte man gerade vom Dachverband erwarten. Doch DFB-Präsident und Teamchef machen sich zum Wortführer einer verschärften Quote, um in der Bundesliga die Zahl der Nicht-EU-Ausländer von derzeit fünf zu reduzieren.

Wenn ich jetzt sagen würde, dass da der Hintergrund zu wenig aufgearbeitet wurde, würde das als Kritik am DFB und an Mayer-Vorfelder verstanden werden. Das ist nicht mein Interesse. Wenn es aber irgendwann auf der einen Seite die so genannten Quotenspieler gibt und dann die Ausländer, von denen nur ein Teil eingesetzt werden darf, kann ich nicht mehr nach Leistungskriterien aufstellen. Das macht die Gruppendynamik in einer Mannschaft kaputt.

Es gibt ja bereits Quotenregelungen: In der Regional- und Oberliga müssen auf dem Spielberichtsbogen vier Spieler stehen, die unter 24 Jahren sind, davon einer unter 21.

Und mit welchem Ergebnis? Fast alle dieser Quotenspieler sitzen auf der Bank. Und das genau in dem Alter, wo junge Spieler möglichst oft spielen müssten.

Ohne diese Regelung würden sie vielleicht nicht einmal auf der Bank sitzen.

Dafür würden sie eine Klasse tiefer aber spielen. Felix Magath hat erzählt, dass er in seinem ersten Herrenjahr A-Klasse gespielt hat, das wäre heute achte, neunte Liga. In der Landesliga oder Verbandsliga lernen Talente mit 18, 19 Jahren viel mehr, als wenn sie in der Regionalliga als Quotenspieler auf der Bank sitzen.

Was spricht denn dagegen, begabte Spieler so früh wie möglich an den Ernst des Fußballs heranzuführen?

Die größte Gefahr ist, dass Talenten von Beratern schon mit 16, 17 Jahren vermittelt wird, dass sie sich um nichts mehr kümmern müssen – das Rundum-Sorglos-Paket eben. Aber wer schaut auf die persönliche Reifung und die sozialen Merkmale? Es tut manchmal furchtbar weh, wenn man sich anschaut, was aus den 17-jährigen Nachwuchsstars geworden ist, die sich ganz früh schon auf den Fußball konzentriert haben.

Sie plädieren für das Leistungsprinzip anstelle einer Quote. Warum setzen sich so wenige Deutsche durch, wenn streng nach Trainingseindrücken aufgestellt wird?

Wir können die Zeit nicht zurückdrehen und den Straßenfußball wieder einführen. Aber wir machen die interessante Beobachtung, dass ausländische Spieler in ihrer Kindheit und Jugend 20, 25, manchmal 30 Stunden pro Woche mit dem Ball gespielt haben. Das hat etwas mit dem sozialen Umfeld zu tun, aus dem die Spieler kommen, und da ist es doch kein Wunder, dass ein junger deutscher Spieler, der vielleicht auf vier bis sechs Stunden kommt, nicht so gut mit der Kugel umgehen kann. Nehmen Sie Levan Tskitischwili, vielleicht unser bester Techniker beim SC Freiburg. Seine Mutter sagt, sie hat ihn nie ohne Ball gesehen.

Ist unsere Gesellschaft hintendran? Dass mit Gerald Asamoah ein Farbiger deutscher Nationalspieler wurde, empfinden viele immer noch als eigenartig.

Die Franzosen haben da 20, 30 Jahre Vorsprung, weil sie aufgrund ihrer Kolonialgeschichte das große Glück haben, dass viele dunkelhäutige Spieler die französische Staatsbürgerschaft besitzen. Und in der Folge der großen sportlichen Erfolge der Franzosen ist es doch auch politisch interessant, dass einer wie Zidane tatsächlich Brücken zwischen den Quartieren baut, wo es große soziale, wirtschaftliche Kontraste gibt.

Auf Deutschland gemünzt heißt das: Weg mit allen Beschränkungen ?

Nein, denn in Zeiten der Globalisierung haben nationale Grenzen auch die Funktion, das gesellschaftliche Leben auszubalancieren. Die Niederländer machen das im Profifußball ganz gut: Sie setzen durch den Verdienst eine Grenze …

und lassen nur die Guten rein.

Die ersten beiden Ligen eines Verbandes sind internationaler Profisport – ohne Wenn und Aber. Da kann es nur Dummheit von Vereinen sein, wenn sie eine Pflaume aus dem Ausland verpflichten. Allerdings wäre es ein Problem, wenn man die Grenzen grundsätzlich öffnet. Denn Spieler aus allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des Balkans beispielsweise und alle anderen talentierten Fußballer, die bereit sind, für 1.000 Euro irgendwo zu spielen, würden busseweise kommen. Dadurch würde man aber riesige Probleme in den Ursprungsländern schaffen. Und es kann ja auch nicht das Ziel sein, dass irgendwo plötzlich keine guten Fußballer mehr sind, weil alle in die wenigen reichen Länder rennen.

Wenn die Nationalmannschaft kriselt, wird traditionell der Nachwuchs zum Thema, der angeblich durch zu viele Ausländer behindert wird.

Egal, ob bei Arbeitslosigkeit oder schwacher Nationalmannschaft – es kann lebensgefährlich sein zu schlussfolgern, dass zu viele Ausländer hier sind. Ganz im Gegenteil: Für junge deutsche Spieler können hochbegabte Ausländer doch nur eine Hilfe sein. Es ist eine Aufwertung der Bundesliga, wenn die Maßstäbe, was zum Beispiel Ballkontrolle oder Durchsetzungsvermögen anbelangt, schon im Training hoch angesetzt werden. Eine Quotierung, wie sie jetzt bei uns diskutiert wird, halte ich für kontraproduktiv. Außerdem kann man sich ja ausmalen, was die Berater der jungen, quotierten deutschen Spieler an Geld verlangen – denn die Vereine wäre ja gezwungen, sie zu bringen.

Und was machen wir jetzt mit der Nationalmannschaft?

Das Thema positiv angehen! Die Anzahl der jungen deutschen Spieler in der ersten und zweiten Liga bis hin zur Regionalliga machen doch berechtigte Hoffnungen …

aber es reicht kaum noch, alle Nationalteams zu füllen.

Man kann sich ja auch fragen, ob man so viele Nationalmannschaften braucht.

Also bleibt nur Fatalismus oder Appelle an die jungen Spieler, lieber auf drei Viertel des Gehalts zu verzichten und stattdessen Spielpraxis zu bekommen?

Nein, es bleibt eigentlich nur, den Jugendwahn runterzufahren. Es ist Unsinn, dass man Talente unbedingt ganz früh oben haben muss. Ich würde konzeptionell mehr die Basis fördern, damit die jungen Spieler so lange wie möglich die normale Entwicklung machen können. Und man sollte Heranwachsende nicht animieren, nur auf die Karte Fußball zu setzen. Ich erwarte auch von keinem 19-, 20-Jährigen, dass er regelmäßig gute Leistungen bringt. Die echte Selektion ist zwischen 21 und 23 Jahren, da stellt sich heraus, wer es packt. Und dann ist es schön, wenn ein Spieler mit 25, 26 sein optimales Niveau ausschöpft.